Katastrophenalarm im Südpazifik: Corona in Fidschi
Fidschi steht normalerweise für palmengesäumte Strände, azurblaue Lagunen und tropische Gastfreundlichkeit. Die Realität zeichnet zurzeit ein anderes Bild: geschlossene Landesgrenzen, explodierende COVID-19 Neuinfektionen und steigende Arbeitslosigkeit bestimmen den Alltag der Inselnation, die am Rande einer humanitären Katastrophe steht.Nachdem Fidschi das Virus für ein ganzes Jahr unter Kontrolle hielt, lokale Transmissionen verhinderte und der Situation der Rest der Welt trotzte, wütet seit April die hochansteckende Delta-Variante des Coronavirus auf der Hauptinsel Viti Levu. Ein einziger Ausrutscher in den vom Militär bewachten Grenzquarantänestationen, in denen jeder Einreisender eine 2-wöchige Zwangsquarantäne absolvieren musste, und ein anschließendes Superspreader-Event bei einer Beerdigung mit über 500 Gästen, änderte die Situation in Fidschi dramatisch.Besonders betroffen ist Suva, das Metropolzentrum des Landes, wo die Zahlen in den letzten Wochen explodierten: allein am Monatag (19.07.2021) meldete das Gesundheitsministerium 784 Neuinfektionen und 15 Tote über die letzten sieben Tage – ein neuer Rekord für den Inselstaat.Seit dem Ausbruch der Delta-Variante im April, hat Fidschi bereits über 18298 Infektionen und 113 Todesfälle verbucht. Aktuell gibt es 14247 aktive Fälle im Land, von denen sich längst nicht mehr alle in designierten Quarantänestationen befinden. Während zu Beginn der Welle noch Krankenhäuser und schließlich auch Hotels und Resorts als Quarantänestationen dienten, müssen mittlerweile aufgrund von Platzmangel milde positive Fälle ihre 14-tägige Isolation zu Hause verbringen.Das viele Institutionen insbesondere im Gesundheitssystem des Landes völlig überfordert sind, zeigt auch der Appell des Haupt-Leichenschauhauses in Suva. Vor wenigen Tagen bat es Angehörige, die Verstorbenen so schnell wie möglich zu beerdigen, um Platz zu schaffen.
Krankenhausplätze nur noch für schwere Fälle
Dr. James Fong, Fidschis Sekretär für Gesundheit, agiert als politische Gesicht der Krise und informiert die Nation über die aktuelle Lage in nahezu tägliche Pressekonferenzen. Während Fong versucht optimistisch zu bleiben, warnt er ebenso vor einer weiteren Verschärfung der Situation.„Unsere Isolationsfähigkeit wird in den nächsten Wochen mit steigenden Fallzahlen auf eine harte Probe gestellt. In diesem Fall müssen wir sicherstellen, dass wir diejenigen identifizieren und behandeln, die am anfälligsten für schweres COVID-19 sind.“, gab er am 30. Juni bekannt.Seitdem hat Fidschi über 13000 Neuinfektionen gemeldet. Sollte der aktuelle Trend fortschreiten und sich die Zahl der Neuinfektionen weiterhin alle 7-10 Tage verdoppeln, könnte Fidschi auf eine humanitäre Katastrophe zusteuern.Schon jetzt hat die Flut von Neuinfektionen und das Auftreten positiver Fälle bei Gesundheitspersonal mehrerer Kliniken und Screening-Teams, das Gesundheitssystem an den Rand seiner Kapazitäten gebracht. Sogar das Hauptkrankenhaus CWMH in Suva musste teilweise schließen und medizinische Behandlungen auf Notfallkrankenhäuser in Zelten verteilt werden, während Sporthallen und Schulen in Feldlazarette umgewandelt werden.
Fidschis Premierminister Bainimarama lehnt harten Lockdown ab
Rund 900.000 Menschen leben in Fidschi, knapp ein Viertel davon in der Metropolregion rund um die Hauptstadt Suva, die momentan als „Containment Zone“ völlig abgesperrt ist. Nach anfänglichem Zögern verhängte die Regierung im Mai zwei mehrtägige „harte Lockdowns“ in denen Geschäfte schließen mussten und eine totale Ausgangssperre verhängt wurde.Immer lauter werdende Forderungen von Oppositionspolitikern, Geschäftsverbänden und sozialen Einrichtungen nach einem harten einmonatigen Lockdown wurden von Fidschis Premierminister Josaia Voreqe Bainimarama während seiner Pressekonferenzen kategorisch abgelehnt.„Entwicklungsländer haben noch nie erfolgreich harte Lockdowns durchgeführt. Selbst in wohlhabenderen Ländern, in denen durchschnittliche Familien über tiefe Taschen und Ersparnisse verfügen, sind diese nur selten gelungen.“„28 Tage einer 24-Stunden-Ausgangssperre für ganz Viti Levu würden uns alle einer wirtschaftlichen Katastrophe und einer elenden Isolation gegenüberstellen. Wenn wir diesen Weg einschlagen würden und nach fast 700 Stunden in unseren Häusern wieder auftauchen, würde Fidschi auf erhebliche und grausame Art anders aussehen. Die Arbeitsplätze der Menschen werden vielleicht nie zurückkehren.“Vor der Pandemie machte der Tourismussektor etwa 40 % des Bruttoinlandprodukts aus und beschäftigte direkt und indirekt rund 150.000 Menschen. Aufgrund geschlossener Grenzen und weltweiten Reiserestriktionen fielen allein im Jahr 2020 Fidschis Besucherzahlen um 87 %. Der „Fiji Hotel and Tourism Association“ zufolge, mussten bereits im März 2020 von den 279 registrierten Tourismus-Unternehmen 93 % ihre Tore schließen. Ein Großteil der Beschäftigten wurde entweder entlassen oder arbeitet in stark reduzierter Teilzeit.
Frustration in der Bevölkerung
Während tägliche neue Rekordzahlen bekannt gegeben werden und Dr. Fong in den Pressekonferenzen zum zuhause bleiben rät, gab Fidschis Minister Wirtschaftsminister Faiyaz Koya unlängst seine Pläne bekannt, Geschäfte, Restaurants und Fitnessstudios in Suva und Umgebung wieder zu öffnen.Die sich teilweise widersprechenden Regierungsstatements und die sich verschärfende soziale Krise sorgen für Frustration und Unmut in der Bevölkerung. In den letzten Wochen kam es in Fidschi zu mehreren kleinen Demonstrationen und Kritik an Bainimarama’s politischen Führungsstil wird zunehmend lauter in der Öffentlichkeit.Vom Militär und Polizei abgesperrte Dörfer und Gemeinden beschwerten sich medienwirksam über zu wenig Essen und fehlende Möglichkeiten die Sperrzonen zu verlassen, um zu arbeiten. Prompt stellte die Regierung ebenso medienwirksam Essensrationen bereit, von denen mittlerweile über 42.800 an Haushalte in Isolation verteilt wurden.Während Gemeinden im Landesinneren Zugang zu Farmland haben und großteils autark leben können, sind Bewohner der urbanen Gegenden auf Geld und offene Märkte angewiesen. Viele Familien in der Suva Sperrzone leiden unter Arbeitslosigkeit und fehlenden Nahrungsmitteln.Doch auch in anderen Städten ist die Situation nicht besser. Zufolge einer Umfrage der Nadi Wirtschaftskammer mussten beispielsweise in Fidschis Tourismuszentrum Nadi nahezu alle Geschäfte Umsatzeinbußen von 70-90 % hinnehmen. Allein letztes Jahr schrumpfte Fidschis Wirtschaft um 15,7 %, mit einer weiteren prognostizierten Senkung von 4,1 % im Jahr 2021.Die Priorität der Regierung liegt auf der nationalen Impfkampagne. „No jab, no job.“ („Keine Impfung, kein Job“), betonte der Premierminister Bainimarama in seiner letzten Rede, in der er gleichzeitig bekannt gab, durch neu verabschiedete Richtlinien die Impfung für alle Arbeitnehmer im Land verpflichtend zu machen.Mit dieser drastischen Maßnahme gesellt sich Fidschi zu den wenigen Ländern, die eine Impfung nun zur Voraussetzung machen. „Dies ist nun die Politik unserer Regierung und wird per Gesetz durchgesetzt.“Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst, die noch keine Impfung erhalten haben, müssen bereits seit dieser Woche Montag zuhause bleiben. Wer nicht gefeuert werden will, muss bis spätestens 15. August die erste Impfung nachweisen können. Für Arbeitgeber und -nehmer in der Privatwirtschaft gilt die verpflichtende Impfung schon ab dem 01. August.Gleichzeitig kündigte Bainimarama Geldstrafen für Privatpersonen und Unternehmen an, die sich nicht an die Richtlinien halten: „Da der gesunde Menschenverstand für manche nicht so selbstverständlich ist, treten ab nächster Woche neue Strafen in Kraft. Wenn Sie zu den Narren gehören, die ohne Maske in der Öffentlichkeit herumlaufen, erhalten Sie an Ort und Stelle eine Geldstrafe. Wenn Sie die Sperrstunde nicht einhalten, werden Sie mit einer Geldstrafe belegt. Wenn Kunden Ihres Unternehmens keine Maske tragen, werden sie und Ihr Unternehmen mit einer Geldstrafe belegt.“
Trotz Massenimpfungen – Fidschis Coronakrise verschlimmert sich
Von permanenten Impfstationen in Fidschis Hotspots, über mobile Impfteams bis hin zu Drive-In Impfungen – das Gesundheitsministerium lässt nichts unversucht, um die Impfraten so schnell wie möglich nach oben zu bringen. Am Montag teilte die Regierung mit, dass mittlerweile 67 % der Zielpopulation ihre erste AstraZeneca Dosis erhalten haben und 13.4 % vollständig geimpft sind. Bis November sollen bereits 80% die zweite Impfung erhalten haben, so Bainimarama.Trotz der Massenimpfungen, nächtlicher Ausgangsperre und Maskenpflicht in der Öffentlichkeit, die zweite Welle des Corona-Delta-Variante scheint noch lange nicht am Ende. Mit dem 7-Tage Durchschnittswert („rolling average“) der Neuinfektionen liegt Fidschi mit 1116 Fällen pro Million Einwohner nun auf Platz 1, dicht gefolgt von Zypern (1114), dem Seychellen (806) und dem Vereinigtem Königreich (665).Die nächsten Wochen werden zeigen, ob und wie Fidschi das Virus unter Kontrolle bringen kann. Eines ist sicher: die Pazifiknation wird einen langen Weg vor sich haben, bis das Leben wieder zur pre-COVID Realität zurückkehrt und der Tourismus wieder Geld ins Land bringt.Doch Bainimarama ist hoffnungsvoll: „Wir müssen das große Ganze sehen und auf eine bessere und bessere Zukunft hinarbeiten, die wir alle für das Land wünschen“, versuchte er die Nation in seiner letzten Rede zu beruhigen. „Wenn wir diese Ansicht vertreten, verspreche ich Ihnen, dass sich die Hoffnung am Horizont abzeichnet.“